Ungefähr 35 km nördlich von Tiflis liegt das assyrische Dorf Kanda, welches ca. 2000 Einwohner zählt. Ungefähr 40 % – 60 % sprechen noch den ostassyrischen Dialekt, Madncha genannt und heute noch im Iran, im Irak verbreitet. Vereinzelt wird „Madncha“ auch noch in der türkischen Provinz Hakkari gesprochen.
Viele Einwohner in der Gemeinde haben auch ihre Wurzeln in Hakkari und mussten aufgrund der Flucht und Vertreibung im Osmanischen Reich, zwischen 1915 und 1918, ihre angestammte Heimat verlassen. Doch noch mehr kamen aus dem heutigen Iran. Aus der Gegend um den Urmia See, an dem auch die gleichnamige Stadt Urmia liegt und wo noch mehrere tausend assyrische Christen beheimatet sind. Die iranischen Assyrer, wobei bei älteren Bewohnern noch der Begriff „Suroye” sehr geläufig ist und wir immer wieder darauf angesprochen wurden ob wir „Suroye“ sind, flüchteten bereits vor 200 Jahren während des persisch – russischen Krieges in die Region.
David Adamov, Präsident des „Assyrian Congress“ in Georgien, führte uns durch das Dorf indem es neben einer neu erbauten Kirche auch einen faszinierenden Chor gibt, dessen Klängen wir lauschen durften.
Die Kirche des Dorfes wurde im byzantinischen Stil erbaut und nach den 13 Heiligen Assyrischen Vätern benannt, die aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem heutigen Edessa in der Türkei und Syrien stammen. Im 6. Jahrhundert verbreiteten sie verstärkt das Christentum in Georgien, welches bereits zuvor im 4. Jahrhundert von der heiligen Nino in der Region verkündet wurde. Noch heute sind viele Klöster und Kirchen nach eben diesen Heiligen benannt, deren Namen wie folgt lauten:
Im Interview berichtet uns Vater Seraf Bit – Kharibi, dessen Vorfahren aus Hassake/Hakkari stammen, dass die Messe zwar in Georgisch und Ostassyrisch gehalten wird, aber streng nach georgisch – orthodoxem Ritus. Besonders stolz ist der Absolvent der Musikhochschule auf den eingangs erwähnten Chor, der wirklich eine hervorragende Leistung an den Tag gelegt hat. Sogar für Filme hat dieser die Backgroundmusik bereits aufgezeichnet.
Nach der Messe suchen wir die Unterhaltung mit den Dorfbewohnern, wobei uns gleich am Eingang der 83-jährige Anatoli Bar Michael anspricht. Er und seine 77-jährige Ehefrau, Lena Bar Ishak, sind so erfreut über unseren Besuch, dass sie es sich nicht nehmen lassen uns zu bewirten. Es ist ungewöhnlich, aber ungefähr 50 % des gesprochenen Dialektes konnte ich verstehen. Der Herr des Hauses erinnerte sich nur daran, dass die Vorfahren ebenfalls einst aus Persien kamen.
Bei den Gesprächen mit den älteren Bewohnern merken wir, wie bei vielen Sehnsucht aufkommt. Scheinbar weckt unser Besuch bei ihnen Erinnerungen, die weit in der Vergangenheit liegen. Ein älterer Bewohner, ein Künstler, blickt mich die ganze Zeit an und fragt mich, ob ich wirklich ein „Suroyo“ bin. Ich bestätigte dies wiederholt. Und als er nach meinem Geburtsort fragte, den Tur Abdin, kamen ihm fast die Tränen.
Nachdenklich verließ ich das Dorf. Gerne würde ich andere Menschen darum bitten dieses Dorf und im Allgemeinen Georgien, ein wunderschönes Land, zu besuchen, um für einen kurzen Augenblick die eigene Vergangenheit zu erblicken.
Simon Jacob, 10.11.2015, Tiflis