Istanbul – Vater Yusuf – Reformer und Visionär Die ersten Worte vom Generalvikar des Patriarchats der Syrisch – Katholischen Kirche in der Türkei, in Istanbul, glichen einer der schallenden Ohrfeigen, die ich ab und zu von meinem Vater erhielt, wenn ich wieder etwas außerordentlich Dämliches angestellt hatte. Mit der Begrüßung: „Was wollt ihr Journalisten wieder hier, ihr könnt doch eh nichts bewegen” und ”euch fehlt der Glaube“, wurde ich zunächst skeptisch und leidenschaftlich begrüßt. Als mich der ü ber sechzig Jahre alte und im Tur Abdin auf die Welt gekommene Geistliche näher betrachtete, meine Lederjacke, die Turnschuhe dazu und das Emblem der „Peacemaker –Tour“ auf meiner Schulter sah, schien er doch den Drang zu verspüren, gerade wegen des jugendlichen Auftretens, mir eine Audienz zu gewähren. Kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gebracht, bestätigte er mir auch meine Einschätzung mit denWorten: „Nicht, dass es etwas bringt, aber ich rede mit Dir, weil Du der Jugend angehörst.“ Die zweite Ohrfeige kassierte ich, als mich der an Ahab aus dem Roman „Moby Dick“ erinnernde Geistliche klar und deutlich darauf aufmerksam machte, dass kein Geistlicher zwischen uns und Gott stehen darf. Denn Gott allein ist vollkommen. Dabei überraschte er mich mit einer zutiefst philosophischen Denkrichtung, die ich so nicht von ihm erwartet hätte. Laut seiner Auffassung ist Gott in allen Religionen zu finden. „Wenn ich als Buddhist auf die Welt gekommen wäre, wäre ich Buddhist. Als Muslim ein Muslim und als Jude ein Jude. Oder sogar Atheist“, so seine Aussage. Was sollte Gott oder die Kraft die Gott darstellt dazu bewegen, den einen zu bevorzugen und einen anderen nach hinten zu stellen? Der Mensch entscheidet nicht, in welche Welt er hineingeboren wird. Wichtig ist, was dieser daraus macht. In Verbindung mit dem spirituellen und friedlichen Aspekt der Religionen. Vater Yusuf spricht bewusst im Plural, wenn es um Glaubensauffassungen geht. Stolz präsentiert er mir seine Bibliothek mit uralten Schriften, teilweise mehrere hundert Jahre alt, welche er eingehend untersucht und studiert hat. So bindet er mit allergrößter Vorsicht und Respekt mehrere Korane auf, zwei Exemplare davon in Kurdisch und Farsi, welche sich in seiner Sammlung befinden. Nachdenklich und die Stirn runzelnd erzählt er mir, dass die arabische Version des Korans mehrere Textpassagen in Aramäisch enthält. Eine interessante Aussage wie ich finde, bevor ich mir die dritte und zum Glück letzte Ohrfeige einfange. Bezugnehmend auf die aramäischen Dialekte zeigte mir nun der milder gestimmte Geistliche mehrere Schriften, die ich lesen sollte. Da ich als Kind das letzte Mal Texte in aramäischer Sprache gelesen und geschrieben habe, fällt es mir einfach schwer, mich darauf zu konzentrieren. Doch die Schelte dafür, nehme ich gerne in Kauf. Sie endet mit der Mahnung: „Wenn Du kein Respekt vor der Schrift hast, wirst Du Kulturen und Religionen nie verstehen. Und damit das Ziel verfehlen, Frieden zu schaffen“. Trotz der vielen Ermahnungen verlasse ich die Kirche dieses außergewöhnlichen Geistlichen mit einem breiten Lächeln. Ich weiß, ich befinde mich auf dem richtigen Weg. Simon Jacob